Was tun bei Lampenfieber?

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Geschrieben von: Barbara
Gründerin, Mastermind und Head-Vocal-Coach bei Lieblingsstimmen.com.
1. Februar 2022
Dein Puls rast, dein Magen rebelliert, dir ist kotzübel und deine Hände und Knie zittern. Ziemlich ungut, wenn du doch eigentlich gleich auf die Bühne gehen sollst und dabei möglichst souverän wirken möchtest.
Hallo Lieblingsstimme!
Ich verstehe dich so gut! Ich habe viele Jahre unter massiver Auftrittsangst gelitten. Ich bin stets direkt von der Toilette (wo ich mir vor lauter Angst die Seele aus dem Leib gekotzt habe) auf die Bühne gegangen. Das war natürlich alles andere als schön, und Spaß macht so ein Auftritt dann auch nicht wirklich.
Ich wurde oft gefragt „Warum tust du dir das an?“ Ich wusste es nicht, ich konnte einfach nicht anders – ich wollte meine Songs auf die Bühne bringen. Das Zitat
„Since Love is Lord of heaven and earth, how can I keep from singing?“
war in diesen Jahren mein Motto. Irgendwas hat mir immer gesagt „du machst das jetzt, das ist deine Berufung“. Warum und wieso, wurde mir erst viel viel später klar, aber darum geht es in diesem Beitrag nun nicht.
Es geht vielmehr darum, wie ich trotz enormem Lampenfieber mein Studium geschafft, die Diplomprüfung mit Auszeichnung bestanden und die ganz großen Bühnen besungen.
Wie hab ich das geschafft? Und vor allem – und darum geht es hier ja – wie kannst auch du das schaffen?
Das große Geheimnis ist auch hier am Ende (merke: am ENDE, nicht gleich zu Beginn der Reise) die Gewohnheit. Ebenso wie bei der Stimmliebe (darüber kannst du hier mehr nachlesen).
Je öfter ich etwas tue, desto normaler wird es für mich, desto weniger stellt diese Situation eine imaginäre Gefahr dar.
Ich schreibe imaginäre Gefahr, weil wir uns ja auf der Bühne nicht wirklich in eine leibhaftige Gefahr begeben. Selbst wenn du vor einem müden oder unwilligen Publikum auftrittst (egal ob singend oder sprechend), können sie dir nicht wirklich schaden. Genau das weiß aber unser Gehirn leider nicht
Wenn du Lampenfieber hast, wird dein Reptiliengehirn* aktiviert und du verfällst in uralte und unkontrollierbare Muster wie Flucht, Starre oder Angriff. Sogenannte Verteidigungsmechanismen.
Nun wollen wir uns auf der Bühne aber mit dem Publikum verbinden, unser Publikum beschenken und nicht in Verteidigungshaltung gehen. Also wird es notwendig sein, deinem Gehirn sanft aber bestimmt zu vermitteln, dass keine wirkliche Gefahr droht.
Meine Strategie gegen Lampenfieber umfasst zwei unterschiedliche Zugänge, die sich wunderbar ergänzen. Zum einen die 4-Punkte SOS-Soforthilfe. Zum anderen habe ich ein paar Gedanken für dich, die du unbedingt bearbeiten solltest, wenn du dein Lampenfieber langfristig und nachhaltig in den Griff bekommen willst.
Lass uns zunächst mit der zigfach erprobten 4-Punkte SOS-Soforthilfe beginnen:
Hier geht es darum, deinem Körper zu signalisieren: „Ich bin in Sicherheit, du darfst dich beruhigen!“
1. Geh in die Hocke und umarme dich ganz fest selbst. Das beruhigt dein limbisches System sofort (u.a. durch die Umarmung) und reguliert deine Atmung. Es fällt dir wieder leichter in die Tiefe zu atmen.
2. Bleib in dieser Hocke und achte darauf, dass deine Ausatmung immer einen Ticken länger dauert als die Einatmung. Ich komme jetzt nicht mit „zähle bis… “ – jeder Mensch ist individuell. Vertraue deiner Intuition wie lange das Ausatmen sich gut für dich anfühlt.
3. Im besten Fall hat sich dein Körper nun bereits etwas beruhigt und über die veränderte Haltung und Atmung selbst reguliert. Nun stehst du auf und seufzt paar Mal ganz laut auf „hah“, schüttelst deine Arme dabei aus und wippst mit deinen Beinen. Lass los!
4. Am Ende gehst du in die Siegerpose** und richtest dich von innen her auf.
5. Vielleicht bist du aber jemand, der/die Stress besser über Bewegung abbaut, dann verzichte auf Punkt 1 und 2 und hüpfe stattdessen wie verrückt auf und ab und schüttle dich so richtig gut aus. Steig dann wieder bei Punkt 3 ein.
Hier sind noch paar Gedanken für dich, um dein Lampenfieber längerfristig und dauerhaft in den Griff zu bekommen.
1. Frage dich: wovor habe ich WIRKLICH Angst? Da tauchen vielleicht Dinge auf wie: sie könnten mich auslachen, sie könnten mich doof finden, ich könnte den Einsatz nicht finden, ich könnte den hohen Ton am Ende nicht treffen, ich könnte den Text vergessen, ich könnte mich sonst irgendwie zum Affen machen….
2. Frage dich dann: welche dieser oben genannten Punkte habe ich selbst in der Hand? Du hast es nicht in der Hand ob aus dem Publikum jemand in der Nase popelt, dir am Ende einen dummen Kommentar gibt oder dich mit Tomaten bewirft (okay, das wird eher nie vorkommen, aber you never know). Was aber hast du selbst in der Hand? Du hast es in der Hand wie gut du vorbereitet bist. Wenn du sehr unter Lampenfieber leidest, dann achte darauf, dass du wirklich top vorbereitet bist, ohne dich dabei fertig zu machen. Wenn du den Song 3x ohne Fehler gesungen hast, lass es gut sein. 😉 Du kannst es!
3. Top Vorbereitung Einsatz nicht versemmeln Übe so lange mit deiner Band oder mit deinem Playback, bis du den Einsatz 100% beherrscht. Tonart Wähle die für dich richtige Tonart. Deinem Publikum ist es egal wie hoch du singst. Es geht nicht darum die allerhöchsten Töne zu fabrizieren, es geht darum zu berühren. Das kannst du am besten in einer für dich passenden Tonart. Sei authentisch! Text Lerne deinen Text bis du ihn im Schlaf beherrscht. Und nimm dir die Freiheit, spontan etwas anderes zu texten, wenn dir der Originaltext nicht einfällt. Und sei es nur lalala… weitermachen heißt die Devise! Richtige Songauswahl Ich sage meinen Schülern immer: nimm einen Song mit dem du dich ultra wohlfühlst. Die Challenge-Songs übe weiter, aber auf der Bühne willst du dich nur wohl fühlen. Das ist in der Regel ein Song der dir sehr gut liegt und den du sehr gerne singst. Der Bonus dabei: dein Publikum fühlt sich wohl, wenn du dich wohl fühlst und das wiederum kommt vice versa zu dir zurück. Alle fühlen sich wohl, was will man mehr? Wenn du dich da oben aber plagst und abrackerst weil du dir selbst und/oder der Greti-Tante was beweisen willst, dann freut sich am Ende niemand. Sonstige Stolperfallen Überprüfe dein Outfit, dein Make-Up und deine Frisur. Damit hast du schon wieder 3 Punkte abgehakt mit denen du dich sicher nicht zum Affen machen wirst. Und wenn trotzdem was passiert (mir passiert ständig was)… dann lache über dich selbst und beziehe was auch immer passiert ist in deine Moderation ein. Was mich zum nächsten Punkt führt…
4. Humor Das müsste eigentich ganz oben stehen. Nimm dich selbst nicht zu wichtig! Du bist eine/einer von Vielen. Wenn du nur einen Schritt zur Seite gehst, stehst du nicht mehr im Mittelpunkt. Trotzdem bist du unendlich wertvoll und einzigartig. Übe es, über dich selbst zu lachen. Das steckt an und erhellt deinen Tag.
5. Finde dein Warum Warum gehe ich auf die Bühne? Warum will ich gehört werden?
6. Sei empathisch Performance ist keine Einbahnstraße bei der es ausschließlich um dich geht. Im Gegenteil. Gute Performane ist immer Interaktion. Und Interaktion entsteht, wenn ich mich auf mein Gegenüber, also auf mein Publikum einlasse, mich einfühlen kann. Was brauchen die gerade? Wie kann ich ihnen dienen? Und schwupps, geht es gar nicht mehr um dich und wie toll du sein könntest. Merkst du wie das entspannt? 🙂
7. Beobachten statt Bewerten Ich kann nicht oft genug betonen wie wichtig dieser Grundsatz ist. Generell beim Singen, aber vor allem auch beim Lampenfieber. Beobachte dich selbst. „Ah, okay sie/er ist gerade sehr nervös.“ Sei empathisch mit dir selbst und nimm dich auch innerlich in den Arm. Beobachte nur. Eine Bewertung wäre, wenn du dich jetzt wegen deinem Lampenfieber selbst verdammst und dich ärgerst. „Hätte ich doch nur kein Lampenfieber“. Du hast es aber. Und es verschwindet leichter, wenn du es liebevoll ansiehst.
Und am Ende ist es immer die Gewohnheit, die das Lampenfieber schwinden lässt.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du das erste Mal Auto gefahren bist? Alles war wahnsinnig verwirrend und anstrengend und das Herz hat heftig geklopft Was da alles passieren kann!!! Nicht auszudenken! Und heute fährst du einfach so, nebenbei. Falls du nicht Auto fährst: dieser Vergleich lässt sich auf so gut wie jedes Erste Mal in deinem Leben übertragen.
Ich wünsche dir von Herzen dass du dein Lampenfieber mit dem oben genannten Soforthilfeprogramm schon beim nächsten Auftritt in den Griff bekommst und die paar Fragen/Gedanken dich auf neue Ideen bringen, so dass du langfristig und nachhaltig nicht mehr damit zu kämpfen hast. Lass mich gerne wissen wie es dir damit geht und hinterlasse mir einen Kommentar! Ich freu mich drauf!
Deine Barbara
*Das Reptilienhirn (unser Hirnstamm) ist für die essenziellen Lebensfunktionen zuständig wie die Steuerung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Atmung. Zudem ist er für wichtige Reflexe wie den Lidschluss-, Schluck- und Husten-Reflex verantwortlich. Unser Stammhirn spielt auch eine für unser Verhalten tragende Rolle. Vereinfacht gesagt übernimmt es die Kontrolle und arbeitet mit den biologischen Ur-Programmen Angriff, Flucht oder Totstellen. Es ist der älteste Teil unseres Gehirns und funktioniert sogar, wenn wir schon im Koma liegen.
**Siegerpose: Bitte schau auf meinem YouTube-Kanal, dort findest du eine Anleitung zur Siegerpose, wie diese geht. Vereinfacht gesagt: stell dich breitbeinig hin, Hände zu Fäusten ballen, in die Seiten stemmen. Aufrechte Haltung. Bisschen wie Superwoman. 🙂
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